Victimblaming (das) ist ein sozialpsychologisches Phänomen, bei dem das Opfer einer negativen Situation oder eines Verbrechens in die Verantwortung gezogen wird.
In der Regel tritt Victimblaming auf, wenn Menschen versuchen, komplexe Situationen zu vereinfachen, indem sie die Schuld beim Opfer suchen. Dadurch wird die psychologische Distanz zwischen dem Opfer und dem Betrachter vergrößert, was ein falsches Gefühl von Sicherheit erzeugt. In der Annahme, dass das Opfer selbst für sein Leid verantwortlich ist, kann man glauben, dass einem selbst so etwas nicht passieren würde.
Ein klassisches Beispiel für Victimblaming ist die Fragestellung oder Annahme, dass eine Person, die Opfer einer sexuellen Belästigung oder Vergewaltigung wurde, diese Situation durch ihr Verhalten oder ihre Kleidung selbst provoziert habe. Fragen wie „Was hast du getragen?“ oder Aussagen wie „Du hättest nicht so spät allein draußen sein sollen“ suchen die Verantwortung beim Opfer und nicht beim Täter.
Dieses Phänomen kann in zahlreichen Kontexten beobachtet werden, sei es bei sexueller Gewalt, Diskriminierung oder Mobbing. Victimblaming kann für das Opfer traumatisierend sein und macht es schwieriger, Hilfe zu suchen oder Gerechtigkeit zu finden. Es verfestigt zudem gesellschaftliche Stereotype und unterstützt die Aufrechterhaltung von problematischen Machtstrukturen.
Im gesellschaftlichen Diskurs und in der Rechtsprechung ist die Erkenntnis, dass Victimblaming ein problematisches Verhalten ist, zunehmend verankert. Trotzdem ist es nach wie vor weitverbreitet und wird oft unbewusst praktiziert.
Der Ausdruck setzt sich aus den englischen Wörtern victim (Opfer) und blaming (beschuldigen) zusammen. Er ist ein Neologismus, der in den letzten Jahrzehnten im Zuge der Diskussionen um soziale Gerechtigkeit und Gleichstellung entstanden ist.
Aussprache
Lautschrift (IPA): [ˈvɪktɪmbleɪmɪŋ]
Verwendungsbeispiele
Nach dem Diebstahl wurde dem Opfer von einem Familienmitglied vorgeworfen, es sei selbst schuld, weil es die Haustür nicht abgeschlossen habe. Dies wurde von der übrigen Familie heftig kritisiert, da sie zwar auch eine Verantwortung für die Sicherheit ihres Eigentums hat, diese Form des Victimblaming aber nicht hilfreich ist und die Situation für die Bestohlene nur verschlimmert.
In der öffentlichen Diskussion über sexuelle Belästigung und Gewalt kommt es leider häufig zu Victimblaming. Dabei scheint vielen nicht bewusst zu sein, dass die Kleidung oder das Verhalten keinen Einfluss auf das Verhalten der Täter hat. Dies haben die deutschen TV-Stars Joko und Klaas in ihrem Clip „Männerwelten“ vom 13.05.2020 eindrucksvoll und erschreckend dargestellt, indem sie in einer Ausstellung die Kleidung zeigten, die Frauen zum Zeitpunkt des Übergriffs trugen.
Wer sich wehrt, fordert allerdings den Täter auch heraus. Nicht jeder ist einsichtig und entschuldigt sich sofort. Die Forschung hat inzwischen typische Reaktionen identifiziert. Oft wird die Tat zunächst herabgespielt oder ganz geleugnet. Dann wird das Opfer beschuldigt (victimblaming). Meist heißt es, es habe selbst mitgemacht oder zu spät gesagt, dass es sich belästigt fühlte.
– Tina Groll (2013): „Wie man sich würdevoll gegen Herrenwitze wehrt“. DIE ZEIT ONLINE, 25.01.2013